Digital Sovereignty
Logan Fisher, unsplash.com (CC0)

(Digitale) Souveränität


Die Hoheit über die eigenen Daten zu haben ist gleichbedeutend mit individueller Unabhängigkeit, Meinungsfreiheit und Demokratie, die sich aus der Bewegung des Humanismus heraus entwickelt haben.

Das Wort „Souveränität“ leitet sich aus dem französischen „la souveraineté“ ab. Nirgendwo auf der Welt wird das Thema digitale Souveränität so stark diskutiert, wie in Europa. Wahrscheinlich weil hier das Zeitalter der Aufklärung begründet wurde und es somit unsere ureigenen Grundwerte betrifft, oder auch weil der Konkurrenzkampf auf diesem Kontinent mit den vielen unterschiedlichen Kulturen immer schon enorm ausgeprägt war. Möglicherweise auch, weil der europäische Digitalmarkt von ausländischen Unternehmen dominiert wird. Das Problem ist nicht nur, dass kulturelle Unterschiede und abweichende Rechtssysteme aufeinanderprallen, sondern auch dass wirtschaftspolitische Interessenskonflikte aufkommen. Es gibt einfach keine einheitlichen Spielregeln und das führt unweigerlich zu Konflikten.

Obwohl die DSGVO den Digitalmarkt bereits EU-weit geregelt hat – das bedeutet nichts anderes, als dass freie, verantwortungsbewusste und mündige Menschen ihre Meinungen ohne Zwang bilden können und die persönlichen Informationen einsehen, korrigieren und jederzeit exportieren dürfen – und sich alle Marktteilnehmer daran halten müssen, gibt es bei den führenden Techkonzernen in letzter Zeit Tendenzen in Richtung Kartellbildung mit Vendor Lock-ins, denen Consumer ausgeliefert sind. Ausgerechnet „dank“ fortschreitender Digitalisierung der Gesellschaft und weil wir von Anbeginn an erzogen wurden, unsere privaten Daten als Währung einzusetzen, ohne für ein Service echtes Geld bezahlen zu müssen.

Auf der einen Seite hilft IT vielen Wirtschaftssektoren, autonomer, resilienter und effizienter zu werden, andererseits machen wir uns von der digitalen Welt komplett abhängig weil wir von den unbegrenzten Möglichkeiten fasziniert sind und immer mehr Lebenszeit in der digitalen Welt verbringen.

Im Allgemeinen müssen die Entwicklungen der vergangenen Jahre trotz zahlreicher positiver Disruptionen, die daraus hervorgegangen sind, kritisch betrachtet werden. Macht und Einfluss einiger weniger „Tech-Bros“ auf die Gesellschaft sind enorm und toxisches Suchtverhalten bei Jungendlichen durch den Konsum von sozialen Medien oder sogar negative Manipulationen durch sog. Influencer ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen. Wir haben uns von Insellösungen, die von ein paar wenigen Global Playern dominiert werden, abhängig gemacht.

Es versteht sich von selbst, dass dies Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben hat.

Auch wenn zahlreiche Beispiele aus der Onlinewelt negative Begleiterscheinungen mit sich bringen, geht es jetzt nicht darum, einzelne Anbieter und Provider auszugrenzen, aufzuspalten oder gesetzlich verbieten zu lassen. Immerhin haben wir sie zu dem gemacht, was sie sind. Es geht darum, die Gesellschaft weiterzuentwickeln, aufzuklären und den richtigen Umgang mit Informationstechnologie zu erlernen bzw. bessere Alternativen aufzuzeigen und damit einen gesunden Wettbewerb zu schaffen.

1. Standardisierung

International genormte auf offenen Standards beruhende Dateiformate ermöglichen Interoperabilität oder zumindest eine verlustfreie Konvertierungsmöglichkeiten zwischen Dokumenten und Systemen.

Dadurch wird sichergestellt, dass Dateien auch in Zukunft noch mit den entsprechenden Programmen geöffnet werden können.

2. Open Source Software

Open Source ist eines der besten Mittel für mehr Autonomie und Souveränität. Und nachdem Europas Kernstärken in der Freiheit, der Vielfalt und der Kooperationsfähigkeit aller hier lebenden Menschen liegen, ist unser Wirtschaftsraum dafür geradezu prädestiniert.

Wahrscheinlich haben genau deshalb viele großartige Open Source Projekte wie Linux, PHP, MySQL, WordPress („bs/cafelog“), Drupal, Typo3, Nextcloud, LibreOffice („StarOffice“), OpenStreetMap, uvm. ihren Ursprung in Europa bzw. sind auf Initiative von Europäern gegründet worden.

3. Accessibility

Souveränität im Sinne von Selbstbestimmungsfähigkeit betrifft auch das Thema Barrierefreiheit weil nur so sichergestellt wird, dass möglichst alle Menschen, unabhängig von einer Behinderung oder Beeinträchtigung, am Markt teilhaben können. Somit müssen digitale Daten auch durch assistive Technologien gelesen und entsprechend aufbereitet werden können.

Universelles Design ist ein Prozess, der die Bedürfnisse möglichst aller Menschen berücksichtigt und Diskriminierung vermeidet.

Der value-based engineering Ansatz hat als Zielsetzung, praktische Lösungen zu entwickeln, die die Anwender:innen in den Mittelpunkt stellen und diese somit als Souverän verstehen.

4. Social Media

Soziale Netzwerke sind Segen und Fluch zugleich. Zum einen sind sie ein Wachstumstreiber des Internets geworden und haben viele nachhaltige Entwicklungen erst ermöglicht, zum anderen machen sie das Web kaputt weil sie ohne Rücksicht auf Verluste alles Alteingesessene verdrängen und wortwörtlich viel sinnbefreiten Müll produzieren. Darüber hinaus konzentrieren sich die Marktanteile auf eine Handvoll Plattformen, deren Black-Box-Monokulturen undurchsichtig sind und ihnen eine enorme Machtfülle bescheren.

Die Souveränität der User wird konterkariert weil sie in sog. Bubbles („Filterblasen“) gefangen und mit Appeasement und Selbstbeweihräucherung manipuliert werden. Auch wenn es kurzfristig befriedigend und bequem sein kann, die eigene Meinung bestärkt zu bekommen, schränkt dieser Umstand langfristig den Horizont ein und schafft Echokammern.

Mittels „Microtargeting“ wird die Kommerzialisierung privater Daten auf die Spitze getrieben weil Personen in demographische, religiöse, politische und andere Zielgruppen eingeteilt werden.

Gebote für die besten Werbeplätze, deren Preis sich nach Angebot und Nachfrage richtet, versprechen den Käufern die Werkzeuge, um Propaganda zu betreiben und so die allgemeine Meinung zielgenau zu beeinflussen.

Diese Form des Marketings schafft jedoch ein destruktives Umfeld und hat das Potential, demokratische Strukturen auszuhöhlen, weil Diskurse ins Extreme abdriften können. Am Ende ist das oberste Bestreben aller Social Media Anbieter, mittels Algorithmen die Datenströme ihren politischen Anforderungen entsprechend zu lenken. Und wenn Faktenchecks und Diversitätsmanagement nicht mehr zum Zeitgeist passen, werden diese einfach abgeschafft.

Ein Ausweg aus dem Dilemma können dezentrale soziale Netzwerke sein, die über verschiedene Provider verteilt sind aber gleichzeitig Kompatibilität und Austausch untereinander gewährleisten.

5. Cloud

Vor nicht einmal 20 Jahren wurde jegliche Nicht-Standard-Software noch teuer und ineffizient „in-house“ entwickelt – einfach weil es keine andere Möglichkeiten gegeben hat und die Auswahl an verfügbaren Applikationen überschaubar war.

Mitte der 2000er Jahre haben dann die ersten ersten Internet-Plattformen und Cloud-Anbieter den Markt mit zum Teil kostenlosen Basisversionen oder günstigen monatlichen Abrechnungsmodellen aufgemischt. Die sogenannten „Hyperscaler“ waren geboren.

In letzter Zeit gibt es im Change Management von Unternehmensumfeldern jedoch wieder vermehrt Tendenzen, gewisse Bereiche in die eigene Einflusssphäre zurückzuholen weil die abstrakte Cloud eben kein Allheilmittel ist und auf lange Sicht intransparent, ineffizient und sogar von willkürlichen Preiserhöhungen betroffen sein kann, was Unternehmen irgendwann einmal auf den Kopf fallen könnte.

6. Netzneutralität

Datensouveränität bedeutet im weitesten Sinne auch, den Zugang ins WorldWideWeb neutral zu behandeln und ohne Diskriminierung zu ermöglichen, damit das Internet weiterhin ein zuverlässiger Innovations- und Wachstumsmotor bleibt.

Fazit und Ausblick

Digitale Transformation soll das Leben (immer) einfacher machen. Monopolstellungen geschlossener Systeme durchkreuzen diese Entwicklungen weil kapitalgetriebene Geschäftsmodelle ohne ausgleichendes Gegengewicht Bürokratiesilos hervorrufen, die alles daran setzen, den Status Quo aufrecht zu erhalten und letztlich gesamtwirtschaftliche Effizienzverbesserungen, die mit sinnvollem Einsatz von Technologie erreicht werden könnten, zunichte machen.

Man sollte sich folgende Fragen stellen wenn man sich für ein elektronisches Datenverarbeitungstool entscheidet:

  • Wie steht es um das geistige Eigentum? Kann ich darauf vertrauen, dass Informationen ausschließlich zweckgewidmet verarbeitet werden?
  • Kann ich gegen eine Weitergabe meiner Daten an Dritte Einspruch erheben?
  • Wird es mir einfach gemacht, Daten einzusehen und diese jederzeit exportieren oder im Bedarfsfall sogar löschen zu können?
  • Wie sichere ich kritische Infrastruktur ab? Begebe ich mich in ein (wirtschaftliches) Abhängigkeitsverhältnis oder kann ich mich jederzeit davon lösen?
  • Gibt es Alternativen oder sind On-Premises-Lösungen und private Clouds vielleicht sogar einfacher und darüber hinaus günstiger zu betreiben?

Auch der richtige Umgang der Anwender:innen mit dem eigenen Medienkonsum muss gelernt sein und ggf. im Rahmen von Kursen und Schulungen vermittelt werden:

  • Was veröffentliche ich wo?
  • Welche Inhalte konsumiere ich? Wem folge ich?
  • Was sind Algorithmen?
  • Verlinke ich bestimmte Postings lieber zu Ressourcen, die ich selbst in der Hand habe?
  • Wo lade ich heikle Daten hoch?
  • Wenn ich ein Produkt oder eine Dienstleistung verkaufe, mache ich das über einen Online-Händler oder (zumindest zusätzlich) über die eigene Website?

Kurzfristig mag der Schritt weg von gewohnten Pfaden und mit der vermeintlichen Sicherheit eines Big Players im Hintergrund, unbequem und mühsam erscheinen. Eine gewisse Portion Idealismus schadet dabei auch nicht. Und der grundlegende Wille zu Souveränität sollte vorhanden sein weil es ohne die „Extrameile“ nicht gehen wird.

Logische Folge sollte sein, sich auf die Ursprungsvisionen der Digitalpioniere zu besinnen und das Internet wieder back-to-the-roots zu bringen.

Open Source Software und Offene Standards spielen hier eine große Rolle. Die Bildung und hier in erster Linie die digitale Medienkompetenz bzw. das kritische Hinterfragen muss allgemein verbessert werden. Initiativen, die einen sicheren, kompetenten und verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien propagieren, müssen weiter unterstützt werden.

Bei all dem muss natürlich auch die Politik ins Boot geholt werden, weil man dafür finanzielle Mittel benötigt und technische Maßnahmen wie Mindestanforderungen an die Infrastruktur nur mit Gesetzen geregelt werden können. Politische Entscheidungen haben somit direkten Einfluss auf die föderale IT-Landschaft und die internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Es gibt aktuell einen schönen Trend, die eigene Website oder den Blog als „digitalen Garten“ zu verstehen. Darunter versteht man den äußerst befriedigenden Ansatz, ganz ungezwungen und unvoreingenommen, Ideen und Wissen anzuhäufen oder einfach nur die eigenen Gedanken aufzuschreiben und interessante Themen zu reflektieren. Im eigenen kleinen Umfeld, ohne irgendwelchen Followern gefallen zu müssen und sich potentiellen Zensurmaßnahmen aussetzen zu müssen. Auch das kann ein erster Schritt hin zu mehr digitaler Souveränität sein.


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